Schmitzens Botanikseite
Rheinische Pflanzengesellschaften
Tollkirschen-SchlagflurAtropetum bellae-donnae Verband: Atropion
Ordnung: Atropetalia
Klasse: Epilobietea angustifolii
Allgemeines
Die Tollkirschen-Flur ist das Gegenstück zur kalkfliehenden Fingerhut-Flur (Epilobio-Digitalietum purpureae) auf kalk- oder sonstwie basenreichen Böden. Auch sollte der Boden nicht zu trocken sein. Diese Bedingungen finden sich vor allem in Mittelgebirgslagen, z.B. im Gefüge anspruchsvollerer Buchenwälder. Bei passenden Bedingungen steigt die Gesellschaft aber auch bis in die Ebene hinab.
Auf Schlägen oder Windbruchflächen erscheint die Gesellschaft schon bald als 1. Sukzessionsstadium. Nach etwa 5-10 Jahren wird sie von Gebüschformationen abgelöst. An ständig gestörten Stellen wie z.B. an Waldwegen kann sie auch die Dauervegetation darstellen.
Einzige Charakterart ist die als Gift- und Zauberpflanze bekannte Tollkirsche (Atropa bella-donna) (oben). Botanisch ist die Tollkirsche eigentlich eine Beere. Das Gift Atropin wird noch heute in der Augenheilkunde zur Erweiterung der Pupillen vor Augenuntersuchungen benutzt. Diesen Effekt kannten schon die Frauen im Mittelalter, die sich Tollkirschensaft in die Augen träufelten, um größere Pupillen und damit eindrucksvollere Augen zu bekommen. Deshalb heißt die Droge in der Naturheilkunde "Bella-Donna" (ital.: schöne Frau).
Zu den Verbandscharakterarten zählen die folgenden drei Pflanzen:
Rechts: Späte Wald-Trespe (Bromus ramosus). Die Art kann leicht mit der sehr ähnlichen Benekens Wald-Trespe (Bromus benekenii) verwechselt werden, die aber eine echte Waldpflanze (Ordnungscharakterart der Buchenwälder [Fagetalia]) ist.
Unten links: Behaartes Johanniskraut (Hypericum hirsutum).
Unten rechts: Schwarze Königskerze (Verbascum nigrum). Die Art geht auch in vergleichbare Staudenfluren und Saumgesellschaften und ist deshalb nur eine schwache Kennart des Atropion-Verbands.
Frische (also mäßig feuchte) und basenreiche Böden sind in der Regel auch relativ nährstoffreich. Deshalb treten in der Tollkirschen-Flur Arten der stickstoffliebenden Staudenfluren (Kl. Artemisietea) hinzu. Auf Schlagfluren finden sie sich nur als Begleiter im Verband Atropion und können deshalb als Differentialarten des Verbands benutzt werden. Typisch sind besonders verschiedene hochwüchsige Disteln wie die Gewöhnliche Kratzdistel (Cirsium vulgare) (rechts) und weitere Korbblütengewächse wie der Wasserdost (Eupatorium cannabinum) (oben). Diese Arten sind übrigens wichtige Nektarlieferanten für Schmetterlinge. Im Bild oben wird der Wasserdost von Russischen Bären (Panaxia quadripunctaria bzw. Euplagia quadripunctaria) umschwärmt. Diese seltene Art ist einer der wenigen tagaktiven "Nachtfalter".
Als Ordnungscharakterarten können die beiden folgenden Arten auch in anderen Schlagflur-Gesellschaften vorkommen. Beide lieben aber mehr oder weniger basenreiche Böden und haben deshalb ihren Schwerpunkt eindeutig im Verband Atropion.
Westfälische Segge (Carex guestphalica). Die formenreiche Art aus der Verwandtschaft der Sparrigen Segge (C. muricata) ist unter zahlreichen Synonymen, z.B. C. polyphylla und C. leersii, beschrieben worden.
Kleinblütige Königskerze (Verbascum thapsus)
Aufgrund seiner Bodenansprüche ist die Tollkirschen-Flur im Rheinland in den Kalkzügen der Mittelgebirge verbreitet und hier regelmäßig anzutreffen. Da Untergrund aus Sand oder Schiefer gemieden wird, kann die Gesellschaft aber über weite Strecken im Rheinischen Schiefergebirge fehlen. Im Flachland ist sie sehr selten oder in weiten Bereichen gar nicht vorhanden.
Ähnliche Gesellschaften
Auf grundfeuchten, sehr nährstoffreichen Böden in Mittelgebirgslagen oder in der Ebene im Gefüge von Auwäldern wird die Tollkirschen-Flur vom Arctietum nemorosi, der Schlagflur der Hain-Klette (Arctium nemorosum) (oben) abgelöst.
Im Gefüge extrem wärmeliebender Laubwälder (Eichenwälder, Orchideen-Buchenwald) kann der Gelbe Fingerhut (Digitalis lutea) zur Tollkirsche hinzutreten. Das dadurch charakterisierte Atropo-Digitalietum luteae ist im Rheinland extrem selten und wird erst im Idarwald und zum Saarland hin verbreiteter.
Auf schlechteren Böden findet man oft Rumpfgesellschaften ohne die Tollkirsche. Sie werden als ranglose Gesellschaften wie die Eupatorium cannabinum-Gesellschaft hier angeschlossen.